Langsam laufe ich dem dunklen Loch entgegen, das vor mir im Boden klafft. Und dann beginnt mein Körper plötzlich ganz langsam zu kippen.. Und das ist auch gut so, denn ich bin am Seil gesichert und der «Weg» führt da runter. Doch nun sehe ich zum ersten Mal, wie tief – und vertikal – es hier wirklich abwärts geht. Still hoffe ich, dass meine Kolleginnen, die sich noch nie abgeseilt haben, auch unten ankommen – dann ist der abenteuerlichste Teil geschafft. Denke ich. Was ich hier noch nicht ahne ist, dass dies nur der Vorgeschmack ist – und eine noch viel grössere Überraschung auf uns warten würde…
Der Schreibtisch am Gipfelkreuz
Unsere Hochtour startet im Sonnenschein in der Region Engelberg, die Uhr zeigt 10 am Morgen. Nach einem steilen Aufstieg durch ein Couloir und weiteren Schneefeldern erreichen wir nach 4.5 Stunden das Gipfelkreuz. Ein kurzer Eintrag ins Gipfelbuch, ein Snack, weiter gehts. Zwischendurch zücke ich immer wieder meine Kamera, denn heute bin ich im Zeit gegen Zeit Ansatz unterwegs – für unseren Bergführer Denys von Bergprojekt gibt es Bilder für seine Homepage und Social Media Beratung, für mich Hochtour und Ausbildung. Ich könnte mir keinen besseren Arbeitsplatz vorstellen – ein Schreibtisch am Gipfelkreuz quasi… Doch nun gilt es erstmal wieder vom Berg runter zu kommen. Kein Problem, wir müssen ja eigentlich nur die Abseilstelle finden und zur Hütte laufen – denken wir. Doch an der Höhle im Boden angekommen sieht alles anders aus.
Wo geht’s hier bitte wieder nach unten?
Wächten und viel Altschnee überlagern noch die Abstiegsstelle, so müssen Denys und Tobi, unsere zwei Guides, improvisieren. Dabei sind heute noch Rahel und Noemi, die ich spontan für die Tour angefragt habe – und die waren noch nie auf Hochtour. Und auch abseilen ist noch neu für sie. So schauen wir den steilen Abgrund an – da müssen wir jetzt durch und runter. Ich gehe zuerst, und während mein Körper angeseilt über die Kante kippt und sich die wahre Höhe der Höhle auftut, denke ich nur im Stillen – hoffentlich geht das gut! Doch beide meistern diese erste Hürde bravourös und landen nach 50 Abseilmetern kurz darauf neben mir auf dem Altschnee am Boden. Weiter geht’s auf die andere Seite, raus aus der Höhle – fast geschafft, denken wir, das Aufregendste haben wir gemeistert – die Hütte ruft! Oder?
Nach der Überraschung ist vor der Überraschung
Schnell stellen Denys und Tobi fest, dass die Topo Info, die sie von der Gegend hatten, nicht ganz so akkurat ist wie gedacht. Und wir nicht «rauslaufen» können, sondern auf einem hohen Felsband stehen – über einer Steilwand von 200 Metern. Und die müssen wir auch noch runter. Wieder geht’s an die Suche nach Abseilstelle Nummer 2 – doch erst als ich angeseilt über die Kante des Felsbandes laufe, wird mir klar, WIE tief der Grund unter uns liegt und wie steil die Felswand abfällt. Nach der ersten Seillänge komme ich bei Tobi an, der auf einem ca. fünf Zentimeter breitem und einem Meter langen Sims steht – in der Vertikalen. Wir haben zu Zweit gut darauf Platz – aber wo sollen denn bitte die anderen drei Menschen noch hin?! Tobis Antwort: es wird kuschelig!
Und so quetschen wir uns alle schon bald nebeneinander auf das schmale Sims, während unsere Fersen in der Luft baumeln. Ein wahrlich steiler Einstieg für Noemi und Rahel, aber beide verlieren nicht den Humor und so lösen wir uns nach weiteren drei Seillängen schliesslich um 20 Uhr am Abend aus der Wand und machen uns auf den Weg zur Hütte. Auch der Graupelschauer konnte uns nicht mehr stören, nur der Durst begleitete meine Schritte die letzte Stunde konstant – Apfel-schorle, Apfel-schorle hallte es mit jedem Tritt in meinem Kopf.
Ein lehrreicher Abschluss
Auf der Hütte konnte ich dann endlich mit strahlenden Augen eine ganze 1.5 Liter Flasche Apfelschorle entgegen nehmen – und ein feines Znacht gab es trotz Verspätung oben drauf. Und Schokopudding zum Dessert! Den nächsten Tag liessen wir es langsamer angehen – Ausbildung (für Rahel und Noemi) und Repetition (für mich) stand auf dem Programm, und natürlich weitere Bilder davon machen. Von Knoten über Gletscherrettung und Abseilen verging auch dieser Tag wie im Flug bei strahlendem Sonnenschein und vor dem Riesenpanorama der Titlisregion. Am Bahnhof in Engelberg krönte dann ein Glacé das Wochenende – ein süsser Abschied für ein adrenalinreiches Wochenende!
Disclaimer: Diese Tour war Teil eines Zeit gegen Zeit Projekts (Leistung durch mich gegen Leistung durch Denys). Der Blogartikel wurde jedoch aus privater Motivation geschrieben und war nicht Teil des Abmachung.
Info über Bergprojekt
Denys (links) und Tobias (rechts) bilden ab 2022 gemeinsam das Team von Bergprojekt.
Denys Thommen ist Inhaber von Bergprojekt. Im Mittelpunkt steht bei ihm das Erlebnis, und so bietet er von Ski- und Splitboardtouren über Klettern, Eis- & Mixedklettern bis Hochtouren und Nordwände ein breites Programm. So vielseitig wie die Bergwelt sich präsentiert, ist auch die Palette der Bergsport Disziplinen die er anbietet. Dazu kommen Kenntnisse in der Orientierung, Sicherheitsmanagement, Wetterkunde etc. Wer sich für eine Tour, Ausbildung, persönliches Coaching oder Training interessiert, kann sich bei ihm via Email melden oder auf seiner Website mehr erfahren. Auf Ende Jahr erhält er zudem Unterstützung von Tobias Martin als zweitem Bergführer (Aspirant).
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