67 Last meters
Julia

Julia

Höhenflug auf meinem ersten 4000er – 100% Womens Peak Challenge

Brmmm. Brmmm. Verschlafen öffne ich die Augen – 2.45 Uhr. Wo bin ich und was vibriert da? Während ich langsam zu mir komme fällt es mir ein – auf der Britanniahütte. Und dann bin ich schlagartig hellwach – denn ich bin ganz kurz davor, meinen ersten 4000er für die 100% Women’s Peak Challenge zu besteigen!

25 In the dark Viv
Aufstieg im Dunkeln

Ein summender Start in die dunkle Nacht

Leise rolle ich aus dem Bett, greife meinen Rucksack und wandere einen Stock tiefer um den aufgeregten Magen zumindest mit ein bisschen Frühstück zu beschwichtigen. Erfolglos geht es bald darauf noch ein Stock tiefer – der Schuhraum summt bereits vor Menschen, dicht drängen sich Tourengeher an Bergsteigern. Während ich mein Gstelltli anlege und die Schuhe binde, gehe ich im Geist nochmal alles durch: Wasser, Sonnencreme, Stirnlampe: Okay. Gleichzeitig versuche ich, den Respekt an den beeindruckenden Gipfel, der draussen auf mich wartet, nicht zu gross werden zu lassen. Dann trete ich hinaus in die noch pechschwarze Nacht. Es ist 3.45 Uhr.

Grosse Aufstiege in kleinen Lichtwelten

Ein warmer Luftzug umweht mich und weisse Lichter blitzen auf, erste Seilschaften kreuzen bereits den unter uns liegenden Gletscher. Die Luft vibriert mit leisem Stimmengemurmel und dem Geräusch von vielen Schritten, die über den Steinboden eilen. Dann geht es los, ein Abstieg ins Dunkle über Stock und Stein – und plötzlich ist er da, der Schnee, der Gletscher, unter meinen Füssen. Zeit zum Anseilen, Zeit für Steigeisen. Zeit aufzusteigen, immer weiter dem Himmel entgegen – über 1100 Höhenmeter via Hohlaubgrat liegen nun vor uns. Den Gedanken stecke ich schnell wieder weg, tief in meine Tasche, und ziehe den Reissverschluss nochmal extra gut zu. Ich bin dankbar, dass ich nur den Lichtkegel vor mir erspähe und meine Welt zusammenschmilzt auf das pinke Seil vor mir und die Trittspuren, die Justine vor mir hinterlässt.

78 Way down Justine
Angeseilt auf dem Gletscher

Ein Fotografen-Traum zwischen Schattenspielen und Wetterschwüngen

Nach und nach schleicht das erste blaue Licht über den Horizont und erhellt die Gesichter um mich. Schicht um Schicht schälen sich die Berggipfel in der Ferne aus ihrem Nachtgewand und pudern sich mit dem ersten, dunstigen Morgengrauen. Unser Gipfel erscheint schon fast zum Greifen nah, doch noch immer trennen uns einige Stunden vom Kreuz. 

90 Mobile pic by Caroline (edit by Julia)
Bild von Caroline Ware Georg, bearbeitet von mir

Kurz legen sich dunkle Wolken über unsere Tour und wehen uns kleine Schneeflocken ins Gesicht, während wir am Grat entlang steigen – nur wenige Momente darauf bricht ein zögerlicher Sonnenstrahl durch und verwandelt die Welt in ein Spiel aus Schatten, Konturen und Kontrasten. Klick – ein weiterer Moment mit der Kamera eingefangen. Wie dankbar bin ich, dass dies mein Beruf ist. Nichts Schöneres könnte ich mir wünschen.

Darfs ein bisschen mehr sein?

Schritt. Schritt. Die Luft wird merklich dünner, das Atmen lauter. Bis wir schliesslich vor der Wand stehen, kurz unterhalb des Gipfels. Und mein Herz noch ein bisschen mehr springt – hier startet die einzige kurze Kletterpartie. Wenn ich hätte wählen können, wäre die ganze Route so gewesen: Denn über den Fels meinen Weg nach oben zu suchen lässt mein Herz tanzen. Ungewohnt sind die Steigeisen dazu, doch die Zacken graben sich tief ins Geröll, während meine Fingerspitzen über mir den nächsten Halt ertasten und ich mich zum nächsten Anker ziehe. Viel zu schnell bin ich oben, viel zu schnell biegen wir um die letzte Ecke, und dann liegt es vor mir: Das Gipfelkreuz auf 4027 Meter.

Euphorie pur auf über 4000 Metern

Freude, Euphorie und Staunen geben sich die Hand und schütteln mich einmal durch. Tief atme ich das Panorama um mich ein. Hier oben, auf meinem höchsten, selbst erstiegenen Gipfel der Schweiz. Meine Beine glauben mir ihre eigene Leistung noch immer nicht, und auch ich tue mich schwer. Ich werde noch etwas brauchen um alles ganz aufzunehmen – die Bilder, die ich mache, helfen dabei. Viel zu schnell steht der Abstieg an über die Normalroute, hinab über Gletscherspalten und Eisskulpturen graben sich unsere Eisen in den Schnee. Einem Highway gleich strömen uns dabei Berggänger entgegen, mit windzerzausten Gesichtern und warmen Köpfen steht ihnen der letzte Aufstieg noch bevor. Als ich schliesslich Steigeisen und Gstelltli ausziehe und dann die wirklich letzten Meter zu Station laufe wird mir klar: ich habe gerade meine Grenzen einmal mehr verschoben. Ein kribbeln macht sich breit – ich glaube das macht süchtig!

95 Mobile pic by Caroline (edit by Julia)
Kurz vor dem Gipfel - Bild von Caroline Ware Georg, editiert von mir

Über die 100% Women's Peak Challenge

Als vor einigen Monaten Schweiz Tourismus anfragte, ob ich einen 4000er im Rahmen der 100% Womens Peak Challenge besteigen und das Projekt fotografisch begleiten möchte war die Antwort sofort klar – ja, möchte ich! Denn Frauen am Berg sind noch immer unterrepräsentiert – sei es auf den Hütten oder unter Bergführerinnen. Mit der Challenge möchte Schweiz Tourismus Bergsteigerinnen in der Schweiz ein Gesicht geben und Vorbilder schaffen. Bereits 41 der 48 Gipfel wurden im Rahmen der Challenge, die vom 8. März bis 8. Oktober läuft, bestiegen. Teilnehmen können alle komplett weiblichen Seilschaften aus allen Ländern – ein Gipfelselfie reicht um dabei zu sein. Mehr Infos dazu auf der Website der Peakchallenge.

Gletscherspalten auf dem Abstieg

Fakten zur Tour

Die Tour führte uns über ca. 1100 Höhenmeter von der Britanniahütte 3027m in der Region Saas Fee via Gletscher und Hohlaubgrat zum Allalinhorn auf 4027m und dann hinunter zur Station Mittelallalin. Begleitet wurden wir dabei von Caroline Ware Georg als Bergführerin und Lou Reynolds als Aspirantin.

Disclaimer: Dieser Beitrag ist Teil einer Kollaboration mit Schweiz Tourismus. Er schildert jedoch vollumfänglich meine eigenen Eindrücke und Empfindungen.

Folge mir auf Social Media:

Post teilen via:

2 Gedanken zu „Höhenflug auf meinem ersten 4000er – 100% Womens Peak Challenge“

  1. Well written! I love reading about what was going on in your head during this tour, and I’m so proud of you for pushing your limit 🙂 If it were up to me I would have also chosen to do more climbing than the steep snow walk!

    1. Thank you Viv! Yes there was a storm of emotions and thoughts running through my head which I only digest slowly now! Looking at the pictures I can hardly believe I’ve been there, what an experience! So happy that you witnessed that with me ❤️

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

More posts:

Wintersurvival: 50 Stunden fernab der Zivilisation

Ich schrecke auf. Es ist stockdunkel. Eine eisige Bise hat mir Schneekristalle ins Gesicht geblasen. Bin ich davon aufgewacht? Dann höre ich es wieder – ganz in der Nähe meines Schlafsacks. Ein leises Knirschen im Schnee – doch sehen kann ich nichts. Es ist tiefer Winter, das Thermometer zeigt -8 Grad.

Mehr lesen »

Voll Ver-Rockt: in der Nässe unterwegs mit Regenrock

Plopp. Plopp. Erste Regentropfen fallen auf mein Gesicht, während ich im Abstieg vom Zeltplatz der letzten Nacht bin. Dann verwandelt sich der langsame Rhythmus schnell in ein Stakkato und der Regen rauscht auf mich nieder. Ich zücke meine kleine Geheimwaffe – meinen Regenrock. Erm, bitte was? Einen Rock?

Mehr lesen »