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Julia

Julia

Wintersurvival: 50 Stunden fernab der Zivilisation

Ich schrecke auf. Es ist stockdunkel. Eine eisige Bise hat mir Schneekristalle ins Gesicht geblasen. Bin ich davon aufgewacht? Dann höre ich es wieder – ganz in der Nähe meines Schlafsacks. Ein leises Knirschen im Schnee – doch sehen kann ich nichts. Es ist tiefer Winter, das Thermometer zeigt -8 Grad. Was mache ich nochmal hier? Ah ja, ich verbringe 50 Stunden im verschneiten Wald – ohne Zelt – im letzten Modul meiner Winterausbildung.

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Ein schwerer Start

Vor zwei Tagen sind wir gestartet, von einem Parkplatz im Berner Jura. Beladen mit 20kg auf dem Rücken, mit Feuerholz, Winterequipment und Essen für 3 Tage. Und Schneeschuhen, denn unser Weg führt teils durch freies Gelände, in der wir mit unseren schweren Rucksäcken einsinken. Unsere Route führt vorbei an verschneiten Bäumen und Sträuchern voller gefrorener Schneeverwehungen – die Sonne wird sich die ganzen drei Tage nicht blicken lassen, doch davon ahne ich jetzt noch nichts. Nebelschwaden wabern immer wieder durch die Bäume und lassen unsere Umgebung fast surreal erscheinen. Wir könnten gerade auch in Lappland sein.

Angekommen: Von Traumfängern und Tierbesuchen

An einem Hang kommt unsere Gruppe nach 5km schliesslich zum Stehen – hier werden wir unser Lager aufschlagen. Im Nebel steigt die Temperatur tagsüber nur minimal auf -6 Grad, so dass unsere Gedanken hauptsächlich um Wärme kreisen. Daher wird nach einem schnellen Zmittag direkt Holz gesammelt und ein Feuer in Gang gebracht, ehe wir uns daran machen unsere individuellen Biwakplätze auszuwählen. Wetterschutz vor der Windseite ist dabei genauso wichtig wie eine gerade Lage – gar nicht so einfach im abschüssigen Hang. 

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Mein Zuhause für zwei Nächte.

Hier hilft der Schnee, eine Rampe ist schnell gebaut. Mein Tarp ist komplett offen, ich liege wortwörtlich im Freien. An den Enden stecke ich Stöcke in den Boden und lehne meine Schneeschuhe daran, ein kleiner Versuch meinen Kopf zu beruhigen – denn hier sind neben Rehen auch schon Wölfe und Luchse gesichtet worden. Später werden meine kleinen Barrieren von einem Teamkollegen Traumfänger genannt – ich muss schmunzeln, die Bezeichnung gefällt mir. Ich gebe zu: Die Vorstellung, in der Nacht ein Tier neben meinem Schlafsack stehen zu sehen, fasziniert mich gleichermassen wie sie mich beunruhigt. Hier bin ich wortwörtlich auf Augenhöhe mit der Tierwelt, nur ein kleiner Teil des ganzen Wald-Kosmos, und gleichzeitig irgendwie ein Eindringling.

Gefrorene Landschaften und warme Gedanken

Am ersten Morgen schlage ich meine Augen auf und sehe meinen Atem vor meinem Gesicht dampfen. Das Thermometer zeigt -7 Grad. Ein diffuses Licht taucht die Welt um mich in ein Blaugrau, das von Sekunde zu Sekunde heller wird. Alles um mich herum glitzert & funkelt im Licht meiner Stirnlampe, reflektiert von 1001 Eiskristallen.

Tief ins Wintergewand getaucht biegen sich die Bäume um mich unter der Schneelast, während ich mich in meinen warmen Schlafsack kuschele. Keine Zeltwand versperrt mir den Blick, und so lasse ich die Stille des Morgens auf mich wirken. Plötzlich dringt leises Knacken und Knistern an mein Ohr und ich drehe den Kopf – und sehe die ersten Flammen auflodern, ein Teamkollege entfacht gerade das Feuer zu neuem Leben. Der Frieden, der mich in dem Moment erfüllt, ist schwer zu beschreiben.

Eine tierische Überraschung

Nur wenig später übernimmt dann der Tag vollends – die Helligkeit und der Aktivismus um mich herum nehmen schlagartig zu und auch ich schäle mich aus meinen vielen Lagen, um dem Team am Feuer Gesellschaft zu leisten. Heute steht eine Winterwanderung auf dem Plan, doch zuerst wird Schnee geschmolzen und zu Porridge verarbeitet – im Haferbrei sieht man zum Glück nicht mehr, was da kurz zuvor alles im aufgetauten Wasser an Rinden- und Moos-Stücken geschwommen ist… Doch dann eine Überraschung: Der Geruch hat nicht nur uns ans Feuer gelockt. Plötzlich kommt aus dem Wald ein Hund auf uns zu – allein und mit grossem GPS Sender und langer Antenne am Hals. Was der hier wohl macht? Nachdem wir ihn erst streicheln, müssen wir ihn alsbald von unseren Vorräten vertreiben. Während er weiter zieht kommt mir ein Gedanke: Vor unserer Tour sollte ich wohl mein Essen, das im Lager bleibt, besser in einen Baum hochziehen…

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Wandern durch eine surreale Schneelandschaft, um warm zu bleiben.

Tierspuren und eisige Winde

Schliesslich ziehen wir los, der Wind ist aufgefrischt und beisst uns eiskalt ins Gesicht. Bewegung ist die einzige Möglichkeit, in dieser Landschaft dauerhaft warm zu bleiben. Nach wenigen Stunden haben wir den Spitzberg erklommen, der seinem Namen jedoch gar keine Ehre macht. Denn er ist weder spitz (sondern ausgesprochen flach) noch wirklich ein Berg (nur ganze 1382 Meter hoch). Auf dem Weg begegnen uns diverse Tierspuren, einen Fuchs können wir ausmachen, einen Hirsch und Hasen. Geduldig klärt uns Mike von Oase-Survival über Laufrichtungen und Spureneigenheiten auf, während wir abwechselnd die Spuren und die eingefrorene Landschaft bestaunen. Inzwischen sind wir bereits 28h draussen und die «normale» Welt fühlt sich sehr weit weg an.

Ein emotionaler Abschied

Schliesslich ist der letzte Abend angebrochen – wirklich der allerletzte, denn mit diesem Modul endet die einjährige Ausbildung bei Oase Survival. Alle Teilnehmer versammeln sich nochmal am Feuer, zum Abendessen werden Geschichten und Erfahrungen ausgetauscht. Sonst ist nur das Knistern des Feuers und das Rauschen des Windes ist zu hören. Der Moment hat etwas sehr Archaisches, Ursprüngliches. Die Welt schrumpft zusammen auf den Ring des Feuers, die Wärme, die Gruppe Menschen, die Freude wie Schutz bietet. 

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An diesem Abend gehe ich mit einem sehr schönen Bauchgefühl ins Bett. Als ich dann in der Nacht plötzlich von Geräuschen und dem Eis in meinem Gesicht aufschrecke, beschliesse ich, dass ich mich über den Tierbesuch freuen möchte – was auch immer es ist. Ich werfe kurz einen Blick in die Nacht, dann drehe ich mich um, schliesse die Augen – und lächele. Ich fühle mich naturverbunden.

Über die Ausbildung von Oase Survival

Das Wintermodul ist Teil einer Jahres-Ausbildung bei Oase Survival zum Thema Survival & Naturverbindung, bestehend aus insgesamt fünf Blöcken und geleitet von Mike. Nach einem Intensiv-Wochenende im April 22 lernten wir im Mai 5 Tage 4 Nächte im Wald-Modul (Shelter-Bau mit Tarp, Orientierung, Werkzeugkunde..), ehe wir im August 6 Tage 5 Nächte am Wasser verbrachten und dabei unter anderem das Fischerei-Brevet machten.

Auch Paddeltraining gehörte dazu, denn 3 Tage waren wir in Kanus auf dem Wasser unterwegs. Im vorletzten Modul im Oktober ging es schliesslich in 4 Tagen 3 Nächten ans Eingemachte – Survival im Wald (Shelter-Bau aus Naturmaterialien, Schlafsack und Mätteli aus Laub, Wasseraufbereitung, Feuertechniken…). Dazu plane ich noch einen separaten Blogbeitrag veröffentlichen. Im letzten Modul im Januar 23 nun Stand der Winter auf dem Programm – 3 Tage 2 Nächte im Wald bei Temperaturen konstant unter Null. 

Mike - unser Survival Trainer

Ich kann die Ausbildung jedem empfehlen, der seine eigene Komfort-Zone erweitern möchte und sich mehr Naturverbindung wünscht. Nähere Infos gibt es auf bei Oase Survival auf der Website zur Jahresausbildung sowie im gratis Online Workshop.

Disclaimer: Dieser Beitrag ist unabhängig geschrieben und wurde nicht von Oase Survival in irgendeiner Art finanziell unterstützt. Die Bilder sind jedoch im Rahmen eines Auftrags für Oase Survival entstanden.

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